MARKTPLATZ     

Thema > Marktplatz > Der Marktplatz von Halle

zurück zur Übersicht

 










Der hallesche Marktplatz im Jahre 1896 mit dem Rathaus und dem Stadthaus
Aufn.: Fliegenkopf-Verlag
















Grundriß des halleschen Marktplatzes im Jahre 2000
Zeichnung: A. Schemmerling







[ 1 2 3 4 ]

Der Marktplatz von Halle

(Fortsetzung S. 2 von 4)


Erst das ausgehende 19. Jahrhundert begnügte sich nicht mehr mit Fassadenumgestaltungen, die die Gebäude dem jeweiligen Zeitgeschmack anpassten, es griff massiv in die Substanz ein. Auf der Südseite wurden der Ratskeller und die Pfännerstube (spätgotisch bzw. barock), sowie zahlreiche kleine Häuser der anschließenden Schmeerstraße abgebrochen, um das gewaltige Stadthaus als neues städtisches Repräsentationsgebäude zu errichten. Zwar nahm dieses mit seiner Gestaltung in Neorenaissanceformen Bezug auf die umgebende historische Bebauung, suchte sie aber durch Größe und zeittypisch überbordenden Schmuckreichtum zu übertrumpfen. Auch Bürgerhäuser der Renaissance mussten Platz machen für gründerzeitliche Neubauten, die teilweise bis heute am Platz stehen, teilweise aber auch nach kurzer Zeit ihrerseits wieder ersetzt wurden – die Zeit nahm nur partiell Rücksicht auf Substanz, verkleidete statt dessen ihre gewachsenen Platzansprüche in äußerliche Historisierung. Verbunden mit diesem Prozess war die dem wachsenden Verkehr geschuldete Verbreiterung der mündenden Hauptverkehrsstraßen, nicht zuletzt veranlasst durch die Führung der Pferde- und später Straßenbahn über den Markt seit 1882. Bereits 1859 hatte der Platz mit der Aufstellung des Bronzedenkmals von Georg Friedrich Händel einen seiner bis heute wichtigsten Akzente erhalten.

Die Besetzung des Marktplatzes durch große Kaufhäuser begann bereits kurz nach der Jahrhundertwende mit einem mehrfach erweiterten Jugendstilkaufhaus an der Ecke zu den Kleinschmieden, dessen Gestalt auf eine geplante weitere Ausdehnung über die Nordseite des Marktplatzes (zu Lasten wiederum von Renaissancehäusern) weist. Einschneidender noch war die Errichtung der Kaufhausbauten Huth auf der Nord- und Lewin auf der Südseite des Marktes, die in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts kleinere Vorgängerbauten ersetzten. Damit gewann das moderne Bauen in Formen der Neuen Sachlichkeit schnell eine starke Position auf dem Marktplatz und veränderte dessen Charakter erheblich. Es gab sogar Pläne, den gesamten Platz in diesem Sinne umzugestalten, was – aus heutiger Sicht glücklicherweise - aber nicht erfolgte. Nur hinter dem Rathaus wurde als ergänzender Verwaltungsbau der Ratshof errichtet. Obwohl nicht zur Platzansicht bestimmt, weisen seine klar gegliederten Fassaden die gleiche Qualität auf wie die der Kaufhäuser dieser Zeit.

Von Kriegszerstörungen ist die Stadt Halle dank bemerkenswerter Bemühungen auf deutscher und amerikanischer Seite weitestgehend verschont geblieben, neben der Bahnhofsgegend war es aber gerade der Marktplatz, der unter Treffern zu leiden hatte. Der Rote Turm verlor seine eindrucksvolle Haube, Rathaus und Wagegebäude wurden schwer beschädigt. Eine Wiederherstellung der beiden markanten Gebäude wäre ohne Frage möglich gewesen, dennoch erfolgte 1948 der Abriss, unrühmlich ergänzt durch die Beseitigung des unbeschädigten Barockflügels des Rathauses 1950, der in den Platz nun hineinragte. Aus der ideologischen Motivation dieses Zerstörungswerkes von Objekten bürgerlicher Repräsentation wurde kein Hehl gemacht. Selbst die lange Nutzung der Wage als erster Sitz der Universität trat dagegen in den Hintergrund, ganz zu schweigen vom bauhistorischen Wert beider Gebäude.

Der Platz erfuhr damit eine erhebliche Vergrößerung an der Ostseite. Zeigte sich die Ratshoffassade ihrer neuen Aufgabe als Platzkante durchaus gewachsen, präsentierte sich die Nordostecke dagegen als offensichtliche Lücke, seit 1984 notdürftig kaschiert durch eine Gaststättenterrasse. Eine weitere empfindliche Lücke wurde in den 60er in die Platzkanten Jahren gerissen, mit der Zerstörung des alten Fachwerkviertels Trödel, das im Südwesten in den Platz hineinreichte, und des anschließenden Hotels „Zur Börse“, einem markanten turmartigen Bau mit Fassade des 19. Jahrhunderts, aber einer weit längeren Geschichte. In die offene Flanke des Platzes schiebt sich seit den 80er Jahren an dieser Stelle die Schmalseite eines Plattenbauriegels.

Im Zuge der Umgestaltung der Leipziger Str (Kl.-Gottwald-Str.) zur Fußgängerzone fiel 1975 die Entscheidung zur Rekonstruktion der Spitze des Roten Turmes, die Stadt erhielt eines ihrer Wahrzeichen zurück. Gleichzeitig wurde der Turm mit einem kupferverkleideten Umbau versehen. In der Geschichte des Bauwerks hatte es bereits Phasen mit einer Umbauung gegeben, die längste Zeit hatte es jedoch freigestanden. Die jetzige aufgeständerte Galerie bietet eine für ihre Zeit durchaus gelungene Gestaltung, wenn auch mit funktionellen und bautechnischen Problemen behaftet. Die hier platzierte Rolandsfigur, eine steinerne Kopie von 1719 des ursprünglichen Holzbildes aus dem 12. Jahrhundert, hatte vorher bereits vier verschiedene Standorte gesehen. Zu den wenigen herausragenden Bauwerken, die zu DDR-Zeiten einer denkmalpflegerischen Sanierung für würdig befunden wurden, gehörte 1975 glücklicherweise das Marktschlösschen, auch der Saalbau des Kühlen Brunnen wurde Ende der 80er Jahre nach jahrzehntelanger Vernachlässigung auf Initiative vonDenkmalpflegern und Künstlern rekonstruiert.
Eine bis heute bestehende Neupflasterung aus den 70er Jahren nahm dem Marktplatz die optische Struktur. Schräg zu den Platzkanten verlegte, mittlerweile stark beschädigte Betonplatten unterstreichen die Großflächigkeit, wo weiterhin Gliederung notwendig gewesen wäre. Seit den 80er Jahren durchschneidet zudem ein zusätzliches Straßenbahngleis die Südwestseite diagonal.
Der einst so gerühmte Platz hat so binnen hundert Jahren seine langwährende weitgehende Geschlossenheit großenteils verloren; die heterogen bebaute Fläche neu zu ordnen und die Lücken zu schließen stellte sich nach der politischen Wende als Gestaltungsaufgabe – angesichts einer in großen Teilen verfallenden historischen Altstadt mit zahlreichen Baudenkmalen allerdings nicht mit höchster Priorität. In den 90er Jahren haben sich mehrere Wettbewerbe der Marktplatzprobleme angenommen, der Platz ist wie kein ein anderer Bereich der Altstadt immer wieder Gegenstand der Diskussion. Bei aller Bedeutung des Marktes birgt dies die Gefahr, dass andere höchst interessante und reizvolle Gebiete zu sehr in den Hintergrund des öffentlichen Bewusstseins treten.
Fortsetzung

[
1 2 3 4 ]