links: Franckeplatz 2 bis 5, um 1900 / rechts: Hofgebäude der Nr. 4
In den letzten Wochen sind sanierungsvorbereitende Bauuntersuchungen an den Häusern Franckeplatz 3 5 durchgeführt worden, die ein erstaunliches Maß an originalen Befunden zutage gefördert haben. Sie geben einerseits Auskunft über Entstehung und Ausstattung der Gebäude und vermitteln andererseits, wie kaum an einer anderen Stelle in Halle, ein authentisches Bild der Wohnkultur im 16. und 17. Jahrhundert.
So findet man im Eckhaus Franckeplatz 5, dem ehemaligen Gasthaus »Raubschiff«, im ersten Obergeschoss eine mit großflächigen floralen Ornamenten bemalte Bohlenstube. Die Decke dieses Raumes ist durch drei Unterzüge gegliedert, wobei der mittlere in der für das 16. Jahrhundert typischen Form als geschnitzter »Schiffskehlbalken« ausgebildet ist. Des Weiteren findet man im Gebäude ein Treppenhaus mit Brettbalustern, welches wohl, wie auch mehrere Zimmertüren, einem barocken Umbau zuzuordnen ist. Interessant sind auf dem Dachboden aufgenommene Dielenbretter, die unterseitig mit einer Farbfassung des 16. Jahrhunderts versehen sind: weiße Felder mit blaugrauen Randeinfassungen und schwarzen Begleitstrichen. Zusammen mit einer farbigen Fassung der Deckenbalken ergab dies eine Deckengestaltung, die sich so auch in anderen halleschen Renaissancehäusern nachweisen lässt (Schmeerstraße 25, Kleine Ulrichstraße 33). Erst später hat man die Felder zwischen den Deckenbalken mit (Lehmstaken-) Füllungen versehen und so Wärmeschutzverbesserungen erzielt. Nicht zuletzt ist das Schmuckfachwerk nasenbesetzte Feuerböcke über einem Schiffskehlbalken an der Westfassade hervorzuheben. Es weist das Haus als einen typischen Bau der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts aus. Dies deckt sich auch weitestgehend mit den Befunden im Inneren.
links: Blick in das Obergeschoss des Hofgebäudes der Nr. 4 / mitte: Schmuckfachwerk an der Nr. 5 (Waisenhausbuchhandlung) / rechts: Treppenhaus in der Nr. 4
Ebenfalls von erheblicher Pracht zeugt das Nachbargebäude Franckeplatz 4. Es ist wohl nur einige Jahrzehnte später entstanden und in der Formensprache deutlich dem frühen Barock zuzusprechen. Dabei handelt es sich ebenfalls um einen Fachwerkbau, dessen Fassade als Sichtfachwerk angelegt worden ist. Die Überkragungen sind auch hier mit gekehlten Balken geschmückt. Erst bei einem späteren Umbau wurde die Fassade im Erdgeschoss durch Vormauern einer Natursteinschale an das Obergeschoss angeglichen und insgesamt verputzt. Im Inneren sind neben einem barocken Treppenhaus mehrere gekehlte Unterzüge zu finden, die in ihrer vereinfachten Profilierung noch deutlich an die Formensprache der Renaissance erinnern. Im Zusammenhang mit der Fassade ist so eine Erbauungszeit kurz nach 1650 zu vermuten.
Besonders hervorhebenswert ist das Hofgebäude der Nr. 4. Es ist äußerlich ein schlichter zweistöckiger Fachwerkbau, der im Erdgeschoss wohl als Schuppen oder Stall genutzt wurde. Der Zugang zum Obergeschoss führt vom Vorderhaus zunächst über einen galerieähnlichen Gang. Von dort aus gehen zwei Kammern ab, die wahrscheinlich als Fremdenzimmer genutzt wurden. Sie sind mit je zwei Fenstern mit Butzenscheiben versehen, die indirekt über den Gang die Beleuchtung der Räume sicherstellen. Die Türen der Kammern lassen sich anhand des Abdruckes eines Schlosses eindeutig als barock identifizieren und ergeben mit dem Butzenscheibenfenster ein authentisches Bild der Zeit. Überhaupt scheint sich hier über die Jahrhunderte ein Stück originaler Wohnkultur aus der Zeit A. H. Franckes erhalten zu haben, wie es andernorts gern zu musealen Schauzwecken zusammengetragen wird.
Das Gebäude Franckeplatz 3 ist in seiner Ausführung zwar wesentlich einfacher, dennoch handelt es sich auch hier um einen Fachwerkbau, der ursprünglich eine Sichtfassade trug. Im zweiten Obergeschoss haben sich einige Schmuckelemente (rautenförmig gekreuzte Hölzer in mehreren Fächern) und in den Räumen des Erdgeschosses barocke Deckengestaltungen der Unterzüge erhalten. Das Treppenhaus, welches ursprünglich von der Toreinfahrt aus zu erreichen war, weist einen Sandsteinfußboden aus der Erbauungszeit auf. Nach einem Kriegsschaden, dem auch Teile des Wohnhauses von August Hermann Francke zum Opfer gefallen sind, wurde knapp die Hälfte des Baus abgetragen.
Die laufenden Untersuchungen werden bestimmt noch weitere Befunde zutage fördern und die hier skizzierten Beobachtungen und Deutungen konkretisieren.
Insgesamt ist das Ensemble als ein wichtiges und eines der letzten Zeugnisse für das Glaucha des 16. und 17. Jahrhunderts anzusehen. Die Fülle an originalen Befunden, die in ihrer weitgehend unveränderten Erhaltung ein Bild jener Zeit vermitteln, ist so einmalig, dass hier bei der Sanierung äußerste Behutsamkeit geboten ist. Nach einigen »gründlichen« Sanierungen in den Franckeschen Stiftungen, bei denen jegliche historische Aura und bei einzelnen Gebäuden Mägdeleinhaus und jüngst das Wohnhaus
von August Hermann Francke auch nahezu die gesamte Originalsubstanz zugunsten einer Hochglanzästhetik
weichen musste, besteht hier noch einmal die Chance, ein Stück echten Denkmalbestandes zu retten und
zu bewahren. Dies scheint längst überfällig, möchte man sich nicht mit Repliken um den Welterbetitel
bewerben.
C. Feigl