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Kein Raum für Denkmalschutz
In der Merseburger Straße soll ein neues Polizeigebäude entstehen
C. Feigl





Polizeipräsidium kurz nach der Erbauung
(Aufn.: Stadtarchiv)













Blick über den Hallmarkt, links unten die Baufläche für das Präsidium
(Aufn.: Stadtarchiv)




































































Direktorenvilla mit Garten
(Aufn.: Stadtarchiv)


Arbeitszimmer in der Villa
(Aufn.: Stadtarchiv)































































Sanierte Fabrikhalle an der Merseburger Straße
(Aufn.: C. Feigl)



Modell des geplanten Autohaus-Neubaus
(Aufn.: C. Feigl)


Blick in die alten Produktionshallen
(Aufn.: Stadtarchiv)
Noch 1997 sollte das Polizeipräsidium in der Dreyhauptstraße für 35 Millionen Mark von Grund auf saniert werden. Ein Jahr später rückte das Innenministerium von diesem Vorhaben ab und setzte fortan auf einen Neubau. Als Standort wurde die Baugrube auf der Spitze, später Heide-Süd favorisiert. Dort waren die Planungen weit gediehen, der erste symbolische Spatenstich bereits vollzogen, als dann auf intensives Drängen der Stadt doch ein Einlenken erfolgte. Nun, nach langem Hin und Her, soll ein neues Polizeigebäude in der Merseburger Straße auf dem Gelände der ehemaligen Maschinenfabrik erbaut werden. Auf den ersten Blick scheint sich hier nur eine Konzeptionslosigkeit der Landesregierung zu zeigen. Aber auch die Stadtverwaltung unter Oberbürgermeister Rauen trug wesentlich zur Verhärtung der Fronten bei. Mit Arroganz und immer haltloseren Forderungen in Bezug auf Standorte und Grundstücksankäufe wurden die Verhandlungspartner verprellt, so daß die Landesregierung bald alle Planungen ohne die Stadt machte. Erst mit der Amtsübernahme durch Frau Häußler löste sich der Knoten ein wenig.

Verständigungsschwierigkeiten über die Lage des Polizeigebäudes scheinen in Halle Tradition zu haben. Nach der Übernahme der polizeilichen Gewalt durch den preußischen Staat Anfang der 20er Jahre wurde bereits über einen Neubau nachgedacht. Im Gespräch waren die Standorte Reil-Kaserne, Roßplatz, die Artilleriekaserne an der heutigen Damaschkestraße und der Schülershof. Nach zähen Verhandlungen gelang es jedoch der Stadtverwaltung unter Leitung Rives, das erst wenige Jahre zuvor erbaute städtische Polizeigebäude in der Dreyhauptstraße günstig an den Staat zu veräußern.
Entstanden ist das Verwaltungsgebäude zwischen 1907 und 1909 auf einem trapezförmigen Grundstück zwischen der ehemaligen »Halle« und dem Moritzkirchhof nach dem Entwurf des Stadtbaurates Zachariae. Der dreigeschossige Bau, ganz in der Tradition der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts, wirkt mächtig, was bestimmt auch beabsichtigt war. Der Versuch, die Baumasse durch Risalite und Giebel aufzulösen, gelang an den Seitenflügeln nur mäßig. Dennoch hat gerade der Kopfbau, sieht man von dem unmotivierten, turmartigen Mansarddach ab, durch seine klare und wohlproportionierte Gliederung durchaus einen Reiz.
Im Inneren dominiert nüchterne Zweckmäßigkeit. Der Zugang erfolgt über eine kleine Vorhalle, von der aus man das Treppenhaus betritt. Auch hier ist eine für das frühe 20. Jahrhundert typisch zurückhaltende Ornamentik sichtbar. Vom Treppenhaus gehen lange Flure ab, die die einzelnen Diensträume erschließen. Bis 1924 beherbergte das Gebäude mehrere Polizeiverwaltungen, Dienstwohnungen, ein Untersuchungsgefängnis sowie ein Polizeimuseum. 1925 wurde das Wohnhaus Moritzkirchhof 5 hinzugekauft, um ein größeres Gefängnis zu installieren. Die letzte Erweiterung erfuhr die Polizeiverwaltung Ende der 80er Jahre, als ihr, nach einer umfänglichen Sanierung, die Häuser Moritzkirchhof 1 – 4 zugeschlagen wurden.[1]

Seit Beginn der Bautätigkeit auf der Spitze, Ende der 80er Jahre, verschlechterte sich der Zustand des Gebäudes zusehends. Beigetragen haben dazu sicher die vorgenommenen Grundwasserabsenkungen. Der Baugrund zwischen der Gerbersaale und der sumpfigen Gegend der Halle galt schon zur Erbauungszeit als nicht günstig. Mehrere Gebäude am Hallmarkt sind daher auf Eichenholzpfähle gegründet. Solange diese unter Luftabschluß im Grundwasser stehen, behalten sie ihre Tragfähigkeit. Beim Absinken des Grundwasserspiegels beginnen sie unter Lufteinwirkung zu verfaulen und die Gründung gibt nach. Das Polizeigebäude ist im südlichen Teil auf die ehemalige Stadtmauer und im Bereich Moritzkirchhof auf festeren Boden gegründet, während der Kopfbau und der Seitenflügel entlang der Dreyhauptstraße auf Eichenpfählen stehen. Infolge von Setzungen im vorderen Teil bildete sich ein Riß, der diagonal durch das Gebäude verläuft und es auseinanderzureißen droht. Erschwerend kommt hinzu, daß über Jahre notwendige Reparaturarbeiten ausgeblieben sind. Wurde die Sanierung noch vor fünf Jahren mit 35 Mio. DM angesetzt, so kann man heute von einer erheblich höheren Summe ausgehen. Der Auszug der Polizeiverwaltung stellt somit ein gravierendes Problem für den Erhalt des Gebäudes dar. Nicht nur, daß ein leerstehendes Verwaltungsgebäude dieser Größenordnung, mit seinen erheblichen Bauschäden, ein Imageverlust für das noch immer nicht gesundende Altstadtgebiet am Hallmarkt ist, es wird sich auch in naher Zukunft kaum ein Nutzer finden der die erheblichen Sanierungsaufwendungen tätigen wird. Städtebaulich wäre somit die Sanierung des alten Polizeigebäudes und eventuell ein Erweiterungsbau auf der Spitze die beste Lösung.

Auch um den Neubau des Polizeipräsidiums an der Merseburger Straße zu realisieren, plant das Land Sachsen-Anhalt Eingriffe in den historischen Gebäudebestand. Der Abriß eines Baudenkmals – des auf dem betreffenden Grundstück stehenden ehemaligen Direktions- und Verwaltungsgebäude der Maschinenfabrik – ist offensichtlich bereits genehmigt. Noch deutlicher als am Hallmarkt wird hier klar, daß sich das Land wenig Gedanken um Stadträume, Gestaltung oder gar Denkmalschutz macht. Aus rein finanziellen Erwägungen wird das fertige Projekt von Heide-Süd auf den neuen Bauplatz verpflanzt, ohne dabei auf die Umgebung zu reagieren. Wie beliebig muß Architektur sein, die einfach an einen anderen Standort versetzt werden kann. Schlimmer noch ist jedoch, daß eines der letzten Gebäude der »Halleschen Maschinenfabrik und Eisengießerei AG, vormals Riedel und Kemnitz« dabei zur Disposition steht. Das Direktorialgebäude wurde im Jahre 1875 nach Entwürfen von Hermann Hennig ausgeführt. Es beherbergte neben den Geschäftszimmern des Direktors und des Vorstandes verschiedene Arbeitsräume für Projektanten, Ingenieure und Zeichner. Zur Merseburger Straße hin präsentiert sich der zweigeschossige Klinkerbau mit einer reich geschmückten Fassade. Die fünfachsige Front wird durch Pilaster und Gesimse gegliedert und der Dachabschluß von einer mit Brüstungspfosten besetzten Attika betont. Große, im Erdgeschoß giebelgekrönte Segmentbogenfenster lassen das Gebäude freundlich erscheinen. Die der Fabrik zugewandten Fassaden sind weniger aufwendig ausgeführt. Die Gestaltung der Innenräume entspricht ihrem Bestimmungszweck. Während die Direktionsräume, insbesondere auch das Einkaufsbüro, repräsentativ mit Stuckdecken ausgestattet gewesen sind, waren die Zeichensäle im Obergeschoß mit Oberlichtfenstern zwar gut beleuchtet, ansonsten aber schlicht eingerichtet.[2]

Bis 1992 fungierte das Gebäude als Verwaltungsbau für die 1946 mit Wegelin&Hübner zum VEB Maschinenfabrik fusionierte Firma. Während in der folgenden Zeit, im Rahmen der »Altlastenbeseitigung«, ein Großteil der Produktionshallen durch ABM-Kräfte abgerissen wurde, ist das Direktionsgebäude durch eine Fassadenreinigung und -reparatur aufgewertet worden. Die Einbeziehung des Gebäudes in das neue Polizeipräsidium ist nicht nur technisch machbar, sie ist denkmalpflegerisch und städtebaulich die einzig vertretbare Lösung.

Wenn Finanz-Staatssekretär Elze davon spricht, daß der Erhalt des Gebäudes »wirtschaftlich nicht darstellbar ist«[3], bleibt offen, auf welcher Basis daraus ein Abriß gerechtfertigt werden soll. Das Land kann im Unterschied zu einem Privatinvestor keine wirtschaftliche Unzumutbarkeit nach § 10(2) des Landesdenkmalschutzgesetzes Sachsen-Anhalt geltend machen. Die einzige rechtlich mögliche Argumentation wäre der Nachweis eines übergeordneten öffentlichen Interesses am Abriß. Auch ein solches ist aus Elzes Worten schwer zu ersehen. Abstand und Sichtschutz zu Gebäuden lassen sich kaum als unabdingbare Kriterien für Polizeipräsidien darstellen. Der geplante Baukörper paßt ohne weiteres neben das Baudenkmal, wobei letzteres dem Gelände den gestalterisch notwendigen Abschluß zur Straße geben würde. Die Folgen eines solchen wenig verantwortungsbewußten Vorgehens reichen über den konkreten Fall hinaus. Wie sollen private Investoren zum Erhalt von Baudenkmalen motiviert werden, wenn das Land selbst sich dazu nicht verpflichtet sieht? Wie sollen Beauflagungen zu denkmalgerechten Sanierungen überzeugend vermittelt werden, wenn die beauflagende Instanz selbst den bequemsten Weg wählt?

Der Konflikt ist an der Merseburger Straße unmittelbar ersichtlich: in direkter Nachbarschaft hat ein Autohändler mit selten zu findendem Engagement alte Fabrikhallen wiederhergestellt und nutzbar gemacht.

Es handelt sich dabei um ebenfalls zur Halleschen Maschinenfabrik und Eisengießerei AG gehörige Produktionshallen. Der giebelseitig zur Merseburger Straße an der Ecke Pfännerhöhe stehende Hallenkomplex wurden 1884 von der Baufirma Schönemann und Schwarz erbaut und 1896 erweitert. Im Wechsel von drei Haupt- und zwei Nebenschiffen, mit einer Beleuchtung ausschließlich über Oberlichter, wirkt der Raum beinahe sakral. Wie auch am Direktionsgebäude sind die Giebel repräsentativ mit einer Klinkerfassade geschmückt.[2] Bis zur Schließung der Maschinenfabrik im Jahre 1992 befanden sich in den Hallen die Kesselschmiede und die Blechnerei. Danach standen sie mehrere Jahre leer. 1998 hat die Fa. Schmidt – ein Honda-Vertragshändler – das Teilstück der Maschinenfabrik erworben, um hier, unter Einbeziehung der vorhandenen Fabrikhallen ein Autohaus zu errichten. Wesentliche Unterstützung erfuhr er dabei vom Leiter des Wirschaftsförderungsamtes der Stadt Halle, Dr. Franke, der das Projekt von Anfang an begleitete – leider keine Selbstverständlichkeit bei der halleschen Stadtverwaltung. Beinahe ideal erscheinen die Hallen für die Nutzung eines Fahrzeughandels. Die Weite des von allen Einbauten und Zwischenwänden befreiten Raumes und der Höhenwechsel der einzelnen Hallen ergeben eine beeindruckende Raumwirkung. Bei der Sanierung wurde sowohl denkmalpflegerisch ein hohes Maß an Verantwortung übernommen, als auch den Anforderungen an eine moderne Nutzung Rechnung getragen. Die Eingriffe in die Substanz beschränken sich auf die Öffnung der Wandflächen für großformatige Fenster. Die Decken wurden mit einer Holzverschalung versehen und ein moderner Fußboden eingefügt. Ansonsten wurde der Innenraum weitgehend unverändert belassen. Entlang der Merseburger Straße soll der Komplex durch einen Neubau ergänzt werden, der dann die bereits errichteten Werkstattgebäude abschirmt. Es handelt sich um einen dreigeschossigen langgestreckten Glaskörper für Ausstellungsflächen im Erdgeschoß und Büroräume in den oberen Etagen. Ein weit überkragendes Flachdach stellt die Verbindung mit den alten Fabrikhallen her. Für den Entwurf, wie auch schon für die Sanierung zeichnet das Braunschweiger Architekturbüro Ahola verantwortlich.

Die Betreiber versprechen sich von der Nutzung einen positiven Imageeffekt – den sie verdient haben und der andere Investoren zur Neunutzung weiterer leerstehender denkmalgeschützter Industriegebäude in der Umgebung ermutigen könnte. Der Abriß des Direktorialgebäudes auf dem Gelände der Maschinenfabrik durch das Land Sachsen-Anhalt würde an dieser Stelle genau das gegenteilige Signal geben.

Anmerkungen:

1   Im nächsten Heft wenden wir uns der Geschichte des Moritzkirchhofes 1 – 4 in einem gesonderten Artikel zu.

2   Siehe auch: Antje Schunke »Die Hallesche Maschinenfabrik und Eisengießerei AG ...« in Historische Industriebauten der Stadt Halle, 1996, S. 119 ff.; Hrsg.: Freunde der Bau und Kunstdenkmale

3    »Abriss auf dem Werksgelände« von Andreas Lohmann, MZ vom 3. 12. 2001