Kein Geld zur Renovierung:
Die Finanznot der öffentlichen Haushalte führt dazu, dass der Denkmalschutz gelockert wird
Von Julia Winkenbach
Christian Feigl saß auf der Zuschauertribüne, als dieser Beschluss fiel. Jetzt haben er und sein „Arbeitskreis Innenstadt" bis August Zeit, Alternativvorschläge zum Abriss der Irrenanstalt vorzulegen. Die Lieblingsidee: aus dem Irrenhaus ein Kongresshotel zu machen. Die Zeiten haben sich geändert. Kurz nach der Wende wurden bundesweit hunderte Millionen Mark in den Erhalt und die Sanierung alter Bausubstanz investiert. Heute entscheiden sich Städte und Gemeinden häufiger für den Geldfluss finanzkräftiger Investoren. Für die historischen Gebäude bedeutet das zumeist die Abrissbirne. Juliane Kirschbaum, Geschäftsführerin des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz bestätigt: „Die Städte und Gemeinden haben heute oft nicht mehr die finanziellen Möglichkeiten, um ihre Planungshoheit in der wünschenswerten Weise wahrnehmen zu können. Sie sehen sich daher kaum in der Lage, den Wünschen der Großinvestoren zu widerstehen, auch wenn es auf Kosten der alten Bausubstanz geht."
Die Hallenser kennen das. Ende 2001 wurde am Marktplatz ein Gründerzeithaus zu Gunsten eines Kaufhof-Anbaus abgerissen. Ein Eckgebäude mit renaissance- und barockzeitlichem Kern sollte folgen. Als bei den Abrissarbeiten letztes Jahr romanische Bausubstanz gefunden wurde, durfte Kaufhof nicht weiter abreißen.
Bei der
Provinzial-Irrenanstalt kann niemand auf solche Wunder hoffen.
Der Gebäudekomplex, der zu den frühesten psychiatrischen Heilanstalten Deutschlands gehört, wurde in den vierziger und fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts gebaut. Das Gelände, auf dem die klassizistischen Putzbauten stehen, ist Teil eines „Technologie- und Gründerzentrums", das mit EU-Fördermitteln errichtet wurde. Angesiedelt wurden dort die Institute der Martin-Luther-Universität und der Max-Planck-Gesellschaft, aber auch innovative Firmen aus Bereichen wie Bio-Genetik oder Mikro-Elektronik. Geht es nach den Investoren, sollen die maroden Gemäuer der Irrenanstalt einem Neubau weichen. Das versuchen Denkmalschützer wie Christian Feigl zu verhindern.
„Wenn die
Provinzial-Irrenanstalt abgerissen wird, verliert ein Stadtviertel mit einer
langen Baugeschichte sein Gesicht", erklärt Franz Jäger vom Verein
„Freunde der Bau- und Kunstdenkmale Sachsen Anhalt". Aber noch konnten
auch die Abrissgegner kein schlüssiges Konzept für die Nutzung der alten
Bausubstanz abgeben. Denn bislang wurde die Instandhaltung mit Fördermitteln
für den Technologiepark bezahlt. Wenn das Nutzungskonzept geändert wird, also
beispielsweise Wohnraum entsteht, müssten die Investoren die bereits in
Anspruch genommenen, zweckgebundenen Mittel zurückzahlen. Und das ist teurer
als ein Abriss.
„Die Stadt hat sich mit diesen Förderrichtlinien ein Korsett geschnürt, das eine Lösung für die Nutzung der Provinzial-Irrenanstalt extrem erschwert", so Denkmalschützer Feigl.
Der weltberühmte Architekt Josef P. Kleihues hat am
Hamburger Bahnhof in Berlin bewiesen, dass moderne Architektur von der
Nachbarschaft mit historischem Gemäuer profitiert. Er warnt vor dem Trend,
denkmalgeschützte Gebäude abzureißen: „Die alte Bausubstanz ist das
Gedächtnis der Stadt, das uns an die Vergangenheit erinnern muss." Gerade
in der Hauptstadt gibt es darum einen erbitterten Kampf. Wie zuletzt um das Stadtschloss.
Heiderose Leopold vom Vorstand der „Gesellschaft historisches Berlin"
beklagt: „Immer häufiger wird alte Bausubstanz abgerissen, die noch vor zehn
Jahren saniert worden wäre. Dabei haben gerade die Gebäude aus dem Ende des 19.
Jahrhunderts Berlins Stadtbild geprägt. Es sollte so geschlossen wie möglich
erhalten werden." Mit dem knapp hundert Jahre alten Metropol-Theater in
der Friedrichstraße zum Beispiel. Vor fünf Jahren geschlossen, rottet das Gebäude,
dessen rückwärtige Fassade und Theatersaal denkmalgeschützt sind, vor sich hin.
Anfang dieses Jahres beschloss die Stadt Berlin, das Theater zu verkaufen. „Die
Ausschreibungsfrist lief gestern aus, und es gibt ein reges Interesse an dem
Gebäude", so Irina Dähne vom Liegenschaftsfonds. Kein Wunder, hat doch die
Stadt künftigen Investoren einen Blankoscheck ausgestellt. „Die Ausschreibung
für das Areal lässt die Möglichkeit offen, das Baudenkmal abzureißen, wenn es
den Investoren wirtschaftlich entgegenkommt", erläutert Dähne. Natürlich sei
es der Stadt Berlin am liebsten, wenn das Theater weiterhin kulturell genutzt
werde. Vorrangig aber gelte die Vorgabe von Finanzsenator
Sarrazin (SPD), die finanziell optimalste Lösung zu finden: „Diesem Ruf müssen wir folgen Leopold." Heiderose kann die Kapitulation vor den Geldgebern nicht verstehen. „Unglaublich. Das Metropol-Theater muss als Kulturgut erhalten werden."
Private Sponsoren können da hilfreich sein. In Halle stiftete Marianne Witte rund sechs Millionen Büro, um die Sanierung eines Friedhofes aus dem 16. Jahrhundert zu finanzieren. Die 80-Jährige lebte von 1936 bis Ende des Zweiten Weltkrieges in Halle, bevor sie nach Amerika auswanderte. Trotzdem blieb sie immer mit der Stadt verbunden, in der ihr Vater zehn Jahre als Professor arbeitete. Als sie Anfang Mai das sanierte Renaissance-Denkmal besuchte, war das Interesse der Bevölkerung groß. Sie hatte sich vorher noch nie in der Öffentlichkeit gezeigt. „Die Arkaden und Verzierungen an den Grüften auf unserem Gottesacker gefallen jedem", erklärt Christian Feigl. Der Wert von schlichteren Gebäuden wie die Irrenanstalt sei dagegen nur für Architektur-Geschulte zu erkennen. Nur was hübsch aussieht, wird von der Allgemeinheit als schützenswert angesehen.
Gegen diese
Einstellung kämpft auch Helmuth Barth als Vorsitzender des Vereins für
Denkmalpflege in Hamburg. Sein größtes Sorgenkind ist der Hafen. Genauer jener
Bereich, der zur HafenCity mit Wohn- und Geschäftshäusern ausgebaut wird:
„Dort gibt es nur noch drei Denkmäler, und eines davon soll abgerissen
werden." Das Amt für Strom- und Hafenbau ist ein hundert Jahre alter
Gebäudekomplex aus vier Häusern. „Die zuständige Gesellschaft für Hafen- und
Standortentwicklung will die Häuser abreißen, um den Investoren eine saubere
Brache zur Bebauung anbieten zu können", so Barth. „Dabei handelt es sich
um ein historisch wertvolles Quartier, in dem die erste Hamburger
Hafenverwaltung entstand." Das ist dem HafenCity-Management egal. Nur ein
Haus soll bestehen bleiben. Helmuth Barth reicht das nicht: „Wir wollen keine
Detail-Versessenheit, sondern das kulturelle Erbe erhalten." Darauf hofft
Christian Feigl in Halle auch. „Mit jedem alten Gebäude, das abgerissen wird,
wird die Stadt ärmer." Also arbeitet er weiter für den Erhalt der ehemaligen
Irrenanstalt. Sollte er verlieren, will er nicht dabei sein, wenn die Kräne
mit den Abrissbirnen anrücken: „Ich kämpfe seit 20 Jahren für den
Denkmalschutz, so etwas möchte ich nicht mit ansehen müssen."
Welt am Sonntag, 1.6.2003