Abrissbirne kommt wieder in Mode

Kein Geld zur Renovierung:

Die Finanznot der öffentlichen Haushalte führt dazu, dass der Denkmalschutz gelockert wird

Von Julia Winkenbach

 

Am Mittwochnachmittag vergangener Woche war Zeit, kurz durchzuatmen. Christian Feigl wusste, dass sein „Baby" gerettet ist. Zumindest vorläufig. Seit Anfang des Jahres kämpft der Denkmalschützer um die ehemalige Königlich-Preußi­sche Provinzial-Irrenanstalt in Hal­le. Sie soll abgerissen werden. Die Wirtschaftsausschüsse hatten dem Abriss des Baudenkmals zu Guns­ten eines Innovations- und Technik­parks bereits zugestimmt. Der Stadtrat aber zögerte. Er beschloss mehrheitlich, dass der Fall erst vom Kulturausschuss bewertet werden soll.

In Halle soll die Königlich-Preußische Irrenanstalt weichen

Christian Feigl saß auf der Zu­schauertribüne, als dieser Beschluss fiel. Jetzt haben er und sein „Arbeitskreis Innenstadt" bis Au­gust Zeit, Alternativvorschläge zum Abriss der Irrenanstalt vorzulegen. Die Lieblingsidee: aus dem Irren­haus ein Kongresshotel zu machen. Die Zeiten haben sich geändert. Kurz nach der Wende wurden bun­desweit hunderte Millionen Mark in den Erhalt und die Sanierung alter Bausubstanz investiert. Heute entscheiden sich Städte und Ge­meinden häufiger für den Geldfluss finanzkräftiger Investoren. Für die historischen Gebäude be­deutet das zumeist die Abrissbirne. Juliane Kirschbaum, Geschäftsfüh­rerin des Deutschen Nationalkomi­tees für Denkmalschutz bestätigt: „Die Städte und Gemeinden haben heute oft nicht mehr die finanziel­len Möglichkeiten, um ihre Pla­nungshoheit in der wünschenswerten Weise wahrnehmen zu kön­nen. Sie sehen sich daher kaum in der Lage, den Wünschen der Groß­investoren zu widerstehen, auch wenn es auf Kosten der alten Bau­substanz geht."

Die Hallenser kennen das. Ende 2001 wurde am Marktplatz ein Gründerzeithaus zu Gunsten eines Kaufhof-Anbaus abgerissen. Ein Eckgebäude mit renaissance- und barockzeitlichem Kern sollte fol­gen. Als bei den Abrissarbeiten letz­tes Jahr romanische Bausubstanz gefunden wurde, durfte Kaufhof nicht weiter abreißen.

Bei der Provinzial-Irrenanstalt kann niemand auf solche Wunder hoffen.

Der Gebäudekomplex, der zu den frühesten psychiatrischen Heilanstalten Deutschlands gehört, wurde in den vierziger und fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts gebaut. Das Gelände, auf dem die klassizistischen Putzbauten stehen, ist Teil eines „Technologie- und Gründerzentrums", das mit EU-För­dermitteln errichtet wurde. Ange­siedelt wurden dort die Institute der Martin-Luther-Universität und der Max-Planck-Gesellschaft, aber auch innovative Firmen aus Berei­chen wie Bio-Genetik oder Mikro-Elektronik. Geht es nach den In­vestoren, sollen die maroden Ge­mäuer der Irrenanstalt einem Neu­bau weichen. Das versuchen Denkmalschüt­zer wie Christi­an Feigl zu ver­hindern.

„Wenn die Provinzial-Irrenanstalt abgerissen wird, verliert ein Stadtviertel mit einer langen Baugeschichte sein Gesicht", erklärt Franz Jäger vom Verein „Freunde der Bau- und Kunstdenkmale Sachsen Anhalt". Aber noch konnten auch die Abriss­gegner kein schlüssiges Konzept für die Nutzung der alten Bausub­stanz abgeben. Denn bislang wurde die Instandhaltung mit Fördermit­teln für den Technologiepark be­zahlt. Wenn das Nutzungskonzept geändert wird, also beispielsweise Wohnraum entsteht, müssten die Investoren die bereits in Anspruch genommenen, zweckgebundenen Mittel zurückzahlen. Und das ist teurer als ein Abriss.

„Wir wollen das kulturelle Erbe erhalten"

 „Die Stadt hat sich mit diesen För­derrichtlinien ein Korsett ge­schnürt, das ei­ne Lösung für die Nutzung der Provinzial-Irrenanstalt extrem erschwert", so Denkmalschützer Feigl.

Der weltberühmte Architekt Jo­sef P. Kleihues hat am Hamburger Bahnhof in Berlin bewiesen, dass moderne Architektur von der Nachbarschaft mit historischem Gemäuer profitiert. Er warnt vor dem Trend, denkmalgeschützte Ge­bäude abzureißen: „Die alte Bau­substanz ist das Gedächtnis der Stadt, das uns an die Vergangen­heit erinnern muss." Gerade in der Hauptstadt gibt es darum einen erbitterten Kampf. Wie zuletzt um das Stadtschloss. Heiderose Leopold vom Vorstand der „Gesellschaft his­torisches Berlin" beklagt: „Immer häufiger wird alte Bausubstanz ab­gerissen, die noch vor zehn Jahren saniert worden wäre. Dabei haben gerade die Gebäude aus dem Ende des 19. Jahrhunderts Berlins Stadt­bild geprägt. Es sollte so geschlos­sen wie möglich erhalten werden." Mit dem knapp hundert Jahre al­ten Metropol-Theater in der Fried­richstraße zum Beispiel. Vor fünf Jahren geschlossen, rottet das Ge­bäude, dessen rückwärtige Fassade und Theatersaal denkmalgeschützt sind, vor sich hin. Anfang dieses Jahres beschloss die Stadt Berlin, das Theater zu verkaufen. „Die Aus­schreibungsfrist lief gestern aus, und es gibt ein reges Interesse an dem Gebäude", so Irina Dähne vom Liegenschaftsfonds. Kein Wunder, hat doch die Stadt künftigen In­vestoren einen Blankoscheck aus­gestellt. „Die Ausschreibung für das Areal lässt die Möglichkeit offen, das Baudenkmal abzureißen, wenn es den Investoren wirtschaftlich entgegenkommt", erläutert Dähne. Natürlich sei es der Stadt Berlin am liebsten, wenn das Theater weiter­hin kulturell genutzt werde. Vor­rangig aber gelte die Vorgabe von Finanzsenator

Sarrazin (SPD), die finanziell optimalste Lö­sung zu finden: „Diesem Ruf müssen wir folgen Leopold." Heiderose kann die Kapitulation vor den Geldgebern nicht verstehen. „Un­glaublich. Das Metropol-Theater muss als Kulturgut erhalten wer­den."

Private Sponsoren können da hilfreich sein. In Halle stiftete Mari­anne Witte rund sechs Millionen Büro, um die Sanierung eines Friedhofes aus dem 16. Jahrhundert zu finanzieren. Die 80-Jährige lebte von 1936 bis Ende des Zweiten Weltkrieges in Halle, bevor sie nach Amerika auswanderte. Trotzdem blieb sie immer mit der Stadt ver­bunden, in der ihr Vater zehn Jahre als Professor arbeitete. Als sie Anfang Mai das sanierte Renaissance-Denkmal besuchte, war das Interes­se der Bevölkerung groß. Sie hatte sich vorher noch nie in der Öffentlichkeit gezeigt. „Die Arkaden und Verzierungen an den Grüften auf unserem  Gottesacker  gefallen je­dem", erklärt Christian Feigl. Der Wert von  schlichteren  Gebäuden wie die Irrenanstalt sei dagegen nur für Architektur-Geschulte zu erkennen. Nur was hübsch aussieht, wird von der Allgemeinheit als schützens­wert angesehen.

Gegen diese Einstellung kämpft auch Helmuth Barth als Vorsitzen­der des Vereins für Denkmalpflege in Hamburg. Sein größtes Sorgen­kind ist der Hafen. Genauer jener Bereich, der zur HafenCity mit Wohn- und Geschäftshäusern aus­gebaut wird: „Dort gibt es nur noch drei Denkmäler, und eines davon soll abgerissen werden." Das Amt für Strom- und Hafenbau ist ein hundert Jahre alter Gebäudekom­plex aus vier Häusern. „Die zuständi­ge Gesellschaft für Hafen- und Standortentwicklung will die Häu­ser abreißen, um den Investoren ei­ne saubere Brache zur Bebauung anbieten zu können", so Barth. „Dabei handelt es sich um ein historisch wertvolles Quartier, in dem die erste Hamburger Hafenverwaltung ent­stand." Das ist dem HafenCity-Management egal. Nur ein Haus soll be­stehen bleiben. Helmuth Barth reicht das nicht: „Wir wollen keine Detail-Versessenheit, sondern das kulturelle Erbe erhalten." Darauf hofft Christian Feigl in Halle auch. „Mit jedem alten Gebäude, das abgerissen wird, wird die Stadt ärmer." Also arbeitet er weiter für den Erhalt der ehemaligen Irren­anstalt. Sollte er verlieren, will er nicht dabei sein, wenn die Kräne mit den Abrissbirnen anrücken: „Ich kämpfe seit 20 Jahren für den Denkmalschutz, so etwas möchte ich nicht mit ansehen müssen."

 

Welt am Sonntag, 1.6.2003