Halle/Saale
Ehemalige Provinzial-lrrenanstalt
Halle an der Saale verfügt über einen Reichtum an Baudenkmälern, von dem viele deutsche Großstädte nur träumen können. Allerdings sorgt der Umgang mit ihnen regelmäßig für Konflikte. Jüngstes Beispiel ist der aktuelle Streit um die Zukunft der ehemaligen Provinzial-lrrenanstalt in Halle-Nietleben. Architektonisch wie medizinisch betrat man mit dem Bau der zweiten modernen Irrenanstalt in Deutschland Neuland. Während Geisteskranke vorher in Gefängnissen und so genannten Irrentürmen" weggeschlossen worden waren, rückte von nun an deren Heilung und Pflege in den Mittelpunkt. Da die Therapiemöglichkeiten zu jener Zeit noch begrenzt waren, setzten die damaligen Ärzte vor allem auf die heilende Wirkung einer möglichst harmonischen Umgebung.
Dieser These folgte die Gestaltung der Anlage. Schon die Lage war ausgesprochen reizvoll: Die Neubauten entstanden auf einer Anhöhe oberhalb der Saale, die einen herrlichen Blick auf Halle und die Flussauen gewährte. Hier errichtete der Architekt Gustav Spott 1844 eine symmetrische Anlage von sechs Gebäuden mit klassizistischen Fassaden, Kolonnaden und Arkadengängen, die an italienische Palastanlagen erinnern und der Anstalt eine südländische Ausstrahlung verliehen.
1864
wurde von Friedrich August Ritter im Stil der Berliner Schinkelschule
die Anstaltskirche errichtet. Schon bald nach Eröffnung der
Irrenanstalt wurden Er-weiterungen nötig. Bis 1924 entstanden
ein Festsaal, Patientenvillen im Schweizerhausstil, ein
Direktorenwohnhaus im Landhausstil, Angestelltenwohnhäuser mit
Art-deco-Elementen und weitere Pflegeheime. 1935 wurde die Irrenanstalt
aufgelöst, ihre Gebäude daraufhin von der
Heeres-Nachrichtenschule genutzt, bis nach 1945 die sowjetische
Armee Einzug hielt. Nach dem Abzug des Militärs 1994 zeichneten
sich vielversprechende Perspektiven für die Anlage ab. Im
Rahmen der Planung eines Technologie- und Wissenschaftsparks Heide-Süd
sollte die Anlage als Forschungscampus genutzt werden. Doch für
das ehrgeizige Projekt fand sich kein Investor und für eine
Sanierung der Gebäude fehlte der Stadt das Geld. Jetzt ist der
Abriss des Baudenkmals in Sicht. Im März reichte die Stadt Halle
einen Abrissantrag für den Kernbereich der Anlage ein.
Hintergrund des Antrages sind die Pläne eines Investors, der auf
dem Anstaltsgelände ein Technologie- und Gründerzentrum
errichten will. Gegen die Abrisspläne hat sich mittlerweile
jedoch erheblicher Widerstand formiert. Das Landesdenkmalamt
lehnt den Abriss ab, die Architektenkammer Sachsen-Anhalt
protestierte in einem offenen Brief an die
Oberbürgermeisterin, und auch Bürgerinitiativen, wie der
Arbeitskreis Innenstadt" machen mobil: Im
Wissenschaftspark Heide-Süd gebe es noch genug unbebaute
Flächen, die für die Ansiedlung eines Technologie-und
Gründerzentrums geeignet seien. Zugleich verweist man auf die
Potenziale der Anstalt - ihre markante Architektur und die
landschaftlich reizvolle Lage. Ob die Proteste Gehör finden, ist
fraglich. Der Investor des Technologie- und Gründerzentrums
hat alternative Standortangebote bisher abgelehnt. Auch der
Denkmalstatus der Gebäude dürfte wohl kaum ein Abrisshindernis
sein. Denn eine Novelle des Landesdenkmalgesetzes hat den
Denkmalschutz im vorigen Jahr dermaßen ausgehöhlt, dass er nur noch
eingeschränkten Schutz bietet. So könnte das Schicksal der
Anstalt ein weiteres Mal die Ohnmacht der Denkmalpflege in
den neuen Ländern belegen.
Matthias Crünzig
Bauwelt 24 2003