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03.06.02 | Sondermitteilung des AKI e.V. | |
Markt 23 - Abriß ? Am Marktplatz von Halle ist ein Barockhaus vom Abriß bedroht, in seiner äußeren Erscheinung wird es vom Spätklassizismus geprägt, im Kern enthält es aber wahrscheinlich noch Bausubstanz der Renaissance. Daher hat es den Status eines Baudenkmals. Renditeerhöhung für den Investor scheint der Stadtverwaltung Grund genug, das Abrißbegehren für dieses Haus zu unterstützen und wieder ein Stück bauliche Stadtgeschichte preiszugeben. |
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Überblick: Kahlschlag am Markt ? Zeitleiste Markt 23: von der Wettbewerbsauslobung 1998 August 2002 Baugeschichtlicher Überblick |
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Kahlschlag am Markt ? | ||
Markt 23 mit Mansarddach, um 1800, links neben der Wage (Aufn.: Stadtarchiv) Rückseite mit (Renaissance?-) Treppenturm (Aufn.: Schütze) |
Es ist nicht wirklich überraschend,
daß das Haus Marktplatz 23 der Frankonia für ihre
Neubebauung der Nordostecke im Wege steht. Bereits in den
früheren Entwürfen des Architekten Johannes Kister von
1999 war der Abriß planerisch dargestellt. Daß die
Stadt jedoch jetzt dem Abrißbegehren stattgeben will,
dabei den Werdegang des bisherigen Verfahrens
ignorierend, ist nur schwer zu fassen. Zur Erinnerung: Die Stadt schrieb 1998 einen städtebaulichen Investorenwettbewerb zur Neubebauung der Nordostecke des Marktplatzes aus, welchen das Architekturbüro Kister/ Scheithauer/Gross gewann. Als Nutzer war die Kaufhof AG vorgesehen und als Bauträger sollte die Frankonia Wohnbau GmbH & Co.KG fungieren. Zu diesem Zeitpunkt war die geplante zu bebauende Fläche auf die Grundstücke der ehemaligen Wage und mehrere Grundstücke in der Rathausstraße, der Kleinen Steinstraße und der Brüderstraße begrenzt. Kurze Zeit später wurde bekannt, daß der Investor die Grundstücke Marktplatz 22 und 23 in das Vorhaben einbeziehen will. Der Abriß der beiden Baudenkmale war dabei geplant. Zur gleichen Zeit trat der im Wettbewerb Drittplazierte auf den Plan, das Architekturbüro agn Paul Niederberghaus & Partner mit dem Investor WestLB und dem Nutzer Karstadt, die nun ihrerseits beanspruchten, den Zuschlag für die Bebauung zu erhalten. Diesem Konzept folgend, sollte die historische Bebauung der Rathaustraße fast vollständig einem Kaufhausneubau weichen. In den folgenden Monaten gab es ein erbittertes Tauziehen der beiden Kaufhausgiganten. Der nicht immer fair geführte Kampf gipfelte in der Drohung Karstadts, Halle zu verlassen. Dem halleschen Stadtrat fiel die undankbare Aufgabe zu, beide Konzepte nochmals gegeneinander abzuwägen. Im Dezember 2000 erteilte der Stadtrat endgültig der Frankonia den Zuschlag, nicht ohne einige Auflagen zu formulieren. Unter anderem wurde die Bedingung (im Zuteilungsbeschluß, wie auch später im Kaufvertrag) paraphiert, daß das barocke Haus Marktplatz 23 zu erhalten und zu sanieren ist. Eigentlich eine klare Sache. Doch wahrscheinlich vertraute die Frankonia ihrer Erfahrung, daß es in Halle schon einmal gelang, ein Baudenkmal nachträglich aus einem städtebaulichen Vertrag herauszulösen und mit einer separaten Wirtschaftlichkeitsberechnung zur Disposition zu stellen. Die Schützei ein barockes Wohnhaus, erbaut 1708 für die Schwester Händels, Dorothea Sophia mußte 1999 einem Neubau weichen. Nach jahrelangen Vernachlässigungen befand sich das städtische Gebäude in einem sehr desolaten Zustand. Eine Sanierung wäre mit Sicherheit sehr aufwendig, im Rahmen des Gesamtbauvorhaben des Händelkarrees jedoch durchaus zumutbar gewesen. Beim Haus Marktplatz 23 ist die Lage längst nicht so prekär. Bis vor kurzem genutzt, befindet sich das Haus in einem Bauzustand, der in keiner Weise als gefährdet gelten kann. Die Risse in der Fassade rühren von einer früheren, unsachgemäßen Vergrößerung der Fensteröffnungen her. Einige Reparaturen und die gestalterische Zurückführung der Fassade auf die Fassung des späten 19. Jahrhunderts sind mit wenig Aufwand möglich. Stattdessen werden von der Frankonia Gutachten bemüht, die das Gebäude als einsturzgefährdet darstellen. Doch die Gefahr geht vielmehr vom Neubau des Kaufhauses auf dem benachbarten Grundstück des ehemaligen Katasteramtes aus. Es braucht keine Statiker, um herauszufinden, daß ein Haus unmittelbar neben einer metertiefen Baugrube ohne entsprechende Stützvorkehrungen nicht mehr standsicher ist. Daß dies erhebliche Kosten verursacht, dürfte der Franonia bereits bei der Vertragsunterzeichnung klar gewesen sein. Doch der Hauptgrund ist so einfach wie unverfroren. In der Begründung des Abrißbegehrens stellte die Frankonia dar, daß sie im Falle eines Abrisses und der Neubebauung erheblich mehr Rendite erzielen kann, als bei der Sanierung des Barockbaus. Es stellt sich die Frage, warum die Stadtverwaltung, allen voran Oberbürgermeisterin Frau Häußler, dem Begehren der Frankonia nachgeben will und sich somit gegen Stadtratsbeschlüsse und eine eindeutige Vertragslage stellt. Es sind keine veränderten Bedingungen festzustellen, die einen Abriß begründen könnten, wie von der Stadt behauptet. Und das Haus ist auch keineswegs nur wegen des Mietvertrages des dort praktizierenden Zahnarztes schützenswert gewesen, sondern weil es ein Baudenmal ist (dessen wirklicher Wert allerdings erst im letzten Jahr erkannt wurde). Ist es wichtiger, einem einzelnen Investor, dem bereits mehrfach hervorragende Bedingungen in Halle gewährt wurden, eine höhere Rendite zu sichern, als die historische Substanz am ersten Platz der Stadt zu schützen? Verkommt die Diskussion um einen Wiederaufbau des alten Rathauses wie immer man dazu stehen mag nicht zur Farce, angesichts des drohenden Abrisses eines barocken Gebäudes in unmittelbarer Nachbarschaft? Die Stadt steht hier in der Verantwortung. |
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Zeitleiste | ||
8/1998 Auslobung eines Investorenwettbewerbes zu Nord-Ost-Ecke Marktplatz Halle 3/1999 Der Entwurf von Kister/Frankonia/Kaufhof erhält den 1. Preis im Wettbewerb 5/1999 Karstadt beansprucht als im Wettbewerb Drittplazierter den Bauplatz am Markt 1/2000 Karstadt droht Halle zu verlassen, wenn ihnen nicht der Zuschlag erteilt wird 2/2000 Der Zeitpunkt für den Zuteilungsbeschluß des Stadtrats wird von der Stadtverwaltung verschoben 5/2000 Der Arbeitskreis Innenstadt e.V. weist bei bauhistorischen Untersuchungen am Haus Marktplatz 23 eine vollständig erhaltene spätbarocke Bausubstanz und Reste eines Vorgängerbaus aus der Renaissance nach. 6/2000 Der AKI gibt ein Sonderheft der Halleschen Blätter zur Neubebauung am Marktplatz heraus 12/2000 Planungs- und Wirtschaftsausschuß stimmen für den Zuschlag an Kister/Frankonia/Kaufhof. Mit einem Änderungsantrag der HAL-Fraktion wird beauflagt, das Haus Marktplatz 23 zu erhalten und zu sanieren 12/2000 Kister/Frankonia/Kaufhof erhält vom Stadtrat den Zuschlag für die Bebauung der Nord-Ost-Ecke des Marktplatzes 8/2001 Stadtratsbeschluß zum Wortlaut des Kaufvertrages verabschiedet. Darin ist die Sanierung des Hauses Marktplatz 23 vertraglich verankert 3/2002 die Frankonia stellt einen Abrißantrag für das Haus Marktplatz 23 und begründet dies mit einer geringeren Rendite (1,95% bei Sanierung und 7% bei Abriß und Neubau). Später werden statische Gründe angeführt. 5/2002 Stadtverwaltung möchte den Abrißantrag zustimmen 6/2002 Der Gestaltungsbeirat spricht sich für den Erhalt aus und hebt die städtebauliche und bauhistorische Bedeutung des Gebäudes Marktplatz 23 hervor. 8/2002 Der Vorstandsvorsitzende der Kaufhof AG wagt einen erneuten Vorstoß im Planungsausschuß, um den Abriß des Hauses durchzusetzen. Nach einer inhaltlich und argumentativ schlampig vorgetragener Rede lehnt der Ausschuß mehrheitlich das Ansinnen ab. Die FRANKONIA erklärt nun mit dem Neubau des Kaufhauses und der Sanierung des Markt 23 gemäß der vorliegenden Baugenehmigung beginnen zu wollen. |
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Baugeschichtlicher Überblick | ||
Markt 23, 1867 (Aufn.: Stadtarchiv) Markt 23 um 1900, Postkarte (Aufn.: Stadtarchiv) |
Die Geschichte des
Grundstücks Marktplatz 23 läßt sich bis in das späte
Mittelalter zurückverfolgen. Bis Mitte des 17.
Jahrhunderts bildete es mit dem Nachbargrundstück (Nr.
22, ehemaliges Katasteramt) eine Einheit. Die ersten
durch eine Abbildung bekannten Gebäude waren hier der
Gasthof »Zum goldenen Ring« von etwa 1505 (Nr. 22) und
dessen Nebengebäude erbaut um 1600 auf dem
heutigen Grundstück Nr. 23. In den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts (spätestens Anfang des 19. Jahrhunderts) entstand das (noch) existierende Wohn- und Geschäftshaus als dreigeschossiger Bau mit umlaufendem Mansarddach. Das auf der Ost- und Nordseite sichtbare Mansarddach stammt noch aus dieser Zeit. Vermutlich bezog man wie damals allgemein üblich Bauteile des Vorgängerbaus in den Neubau ein. Dies könnte auf den mehreckigen Treppenturm an der dem Marktplatz abgewandten Gebäude-Nordseite zutreffen, was das Gebäude in eine Reihe mit anderen Renaissance-Bürgerhäusern (Marktschlößchen, Jenasches Stift, Schleiermacherhaus) stellen würde. Der West- und Südseite haben die Besitzer 1857 durch Dachausbau und Fassadenveränderungen ein spätklassizistisches Aussehen gegeben. In dieser Zeit entstand auch ein zweites Treppenhaus. Der 1890/ 1891 angebrachte eklektizistische Fassadenstuck mußte 1921 wieder weichen, so daß das Gebäude auf diesen dem Marktplatz zugewandten Seiten heute ein relativ schlichtes Aussehen zeigt. Hinter zwei Erdgeschoß-Fenstern verbirgt sich die ehemalige, 1890 zugesetzte Durchfahrt in den Hof des Hotels »Zum goldenen Ring«. Wichtige und bekannte Gebäudenutzer und -inhaber des Hauses Marktplatz 23 waren in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts mit Salom(on) Hirsch Bernheim (Bergheim) und Heinrich Bernheim zwei Vorsteher der halleschen jüdischen Gemeinde, sowie 1890 bis 1914 das vielbeschäftigte Architekturbüro Albert & Ernst Giese. P.
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