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Prof. Blobel und das alte Rathaus
H. Löhr

Am  29. Mai 2002 sprach der Medizin-Nobelpreisträger Prof. Günther Blobel auf Einladung des Kuratoriums Altes Rathaus zum Wiederaufbau historischer Bauten.  Herr Blobel ist für herausragende Leistungen in seinem Fachgebiet hoch geehrt worden und er hat sich durch die Spende fast seines gesamten Preisgeldes um den Wiederaufbau der Dresdener Frauenkirche sehr verdient gemacht. Von baugeschichtlichen und stadthistorischen Fragen besitzt er aber offenbar nur eine vage Vorstellung, was ihn leider nicht hindert, vor großem Publikum darüber zu referieren.

Der von Herrn Blobel verwendete Begriff der „ewig gültigen Idee“ mag auf die Dresdener Frauenkirche allenfalls anwendbar sein, das hallesche Rathaus war ganz im Gegensatz zu einer „ewig gültigen Idee“ besonders durch seine abwechslungsreiche Baugeschichte mit zahlreichen Veränderungen geprägt. Das mindert seinen Wert nicht (obwohl es durchaus auch nicht auf eine Stufe mit der Frauenkirche zu stellen ist), doch ein Wissenschaftler sollte nicht so leichtfertig mit Begriffen umgehen, zumal wenn er ihnen großes Gewicht beigibt. Unhaltbar ist auch die völlige Gleichsetzung von Original und Kopie. An einem Gebäude mag im Laufe seiner Geschichte vieles verändert und ersetzt worden sein, wenn es ein gewachsenes Ganzes darstellt, besitzt es eine andere Authentizität und Ausstrahlung als jede mehr oder weniger getreue Kopie einer seiner Entwicklungsphasen. Ohne Kenntnis der konkreten Situation in Halle – er hat die Stadt nach eigenem Bekunden erst am Tag des Vortrags in wenigen Stunden kennen gelernt – sah sich Herr Blobel berufen, Ratschläge zum Umgang mit dieser Stadt zu erteilen, abgeleitet aus allgemeinen Beobachtungen in anderen Städten. Differenzierungen sind auf diese Weise nicht möglich, Besonderheiten verschwimmen, und so fiel (abgesehen vom Marktplatz 23, dessen Zukunft augenscheinlich in barocker Gestalt vorgestellt war) kein Wort zum erhaltenen baulichen Reichtum der Stadt. Wenn Hildesheim zum Vergleich herangezogen und der Wiederaufbau des dortigen Marktplatzes zum Vorbild für Halle erhoben wird, ist dafür natürlich auch kein Raum. Der Unterschied zum fast vollständig kriegszerstörten Hildesheim mit seiner weitgehend gesichtslosen Neubebauung ist aber geradezu eklatant. Während dort Wiederaufbauten zur Identitätsfindung tatsächlich sinnvoll und notwendig waren, liegt die Chance für Halle gerade in der Besinnung auf seine weitgehende Verschonung von der Zerstörung, die es vor anderen Städten auszeichnet, und der daraus erwachsenden Verantwortung. Sich auf die Wiederherstellung des vergleichsweise wenigen Verlorenen zu fixieren, ist daher mit Sicherheit die falsche Richtung.