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Die Entwicklung des Dorfes Lettin
im 19. Jahrhundert

von S. Schultze-Galléra
Aus: Wanderungen durch den Saal-Kreis, Dr. S. Schultze, 1913 (1. Band)
 




Umgebung des Dölauer Steinkohlereviers
(Stadtarchiv Halle)


























Es fallen uns die vielen kleinen Arbeitergehöfte im Dorfe auf. Fast keine Ökonomieen mit größeren Höfen und Stallungen. Es sollen überhaupt nur noch etwa vier wirkliche Bauern im Orte sein, die zusammen ungefähr 500 Morgen besitzen, aber nur wenig Viehwirtschaft treiben. Das übrige Land der immerhin großen Dorfflur Lettins ist zersplittert oder aufgekauft von einer Hand. Dieses Bauernlegen und Aufkaufen zu großen Güterkomplexen brachten Rom vor Zeiten den Untergang und wird auch uns verhängnisvoll werden. Die Gemeinde zählte 1785 etwa: 1138 Morgen Acker, 36 Morgen Wiesen, 9 Morgen Gärten und 350 Morgen Gemeindeanger, die verteilt waren auf 6 Bauern, 2 Halbspänner, 3 große und 6 kleine Kossaten, 26 Häuser. Steuern zahlte sie 177 Taler Fouragegeld, 377 Taler Kontribution. Es waren 275 Einwohner in 53 Häusern. – Dreißig Jahre später (1825) zählte Lettin 70 Häuser und 378 Einwohner, also Zunahme: 22 in einem Menschenalter! – Was für Ziffern dagegen heute! 1885: 1245 Einwohner, also in 100 Jahren (1785 – 1885) 353% Zuwachs, weit über das Normale im Saalkreis. 1905: 1745; in zwanzig Jahren rund 500! also fast die Hälfte! 1912: 1830 Einwohner…

Jedoch werden in dieser Lettiner Industrie verhältnismäßig nur wenige Arbeiter beschäftigt, die anderen sind Maurer, die nach Halle auf Arbeit gehen, Fabrikarbeiter der Cröllwitzer Papierfabrik, der Trothaschen Chemischen Fabrik, Arbeiter in den Dölauer Werken, Bergleute in den Nietlebener Gruben und etliche Fischer (1800: 4 Fischer, 1905: 5 Fischer).

Die Nähe und die starke Berührung mit der Großstadt bringen es mit sich, daß das große Dorf auffällig arm an Läden und Geschäften ist. Wer etwas nötig hat, bringt es sich aus der billigeren großen Stadt mit, und Materialläden läßt der Konsumverein (320 Mitglieder) nicht aufkommen. Die große Einwohnerzahl kann man also nur als einen relativen Fortschritt des Ortes betrachten. Die sozialen Verhältnisse sind heute nicht besser geworden durch den Segen moderner »Kultur«. Reichtagswahl 1912: 47 Konservative, 30 Liberale, 263 Sozialdemokraten.