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Leere Architekturversprechungen (I) –
Feng Shui und andere

H. Löhr

 
 

 
Neubauten in Zeiten verbreiteten Leerstandes, wie momentan in Halle, gewinnbringend zu vermarkten ist nicht ganz leicht. So werden zuweilen phantasiereiche Werbestrategien entwickelt, um potentielle Mieter neugierig zu machen. Leider hinterlassen die verheißungsvollen Formulierungen eine Reihe von Fragen, sofern man versucht, sie ernst zu nehmen.  





Feng-Shui-Häuser im Kellnerblock
(Aufn.: G. Schütze)







































































































Richard-Wagner-Str. 21
(aus einer Werbung der Immobiliengesellschaft)
Am auffälligsten tut sich mit seiner Werbung der kürzlich fertiggestellte Kellnerblock an der Spitze hervor. Nach traditionellen chinesischen Feng-Shui-Prinzipien soll er errichtet sein, eine Broschüre erläutert die daraus resultierenden Vorzüge. Wie weit Feng Shui tatsächlich geeignet ist, die Lebensqualität zu erhöhen, müssen die Anhänger dieser Lehre selbst entscheiden. Die bisher geringe Auslastung besonders der Gewerberäume im Kellnerblock spricht erst einmal nicht für eine besondere Überzeugungskraft der altchinesischen Ideen in Halle. Das mag daran liegen, daß Geschäftsleute hierzulande sich doch eher von praktischen Erwägungen leiten lassen und weniger auf geschäftsstimulierende Einflüsse wie eine Wassersäule in der Südostecke vertrauen. Es mag aber auch daran liegen, daß die ansässigen Feng-Shui-Begeisterten ihre Lehre nicht in genügendem Maße verwirklicht sehen.
Günstige Einflüsse verspricht man sich im Feng Shui besonders von der Lage. Aus einem Handbuch ist einleitend zu erfahren, daß geologische Verwerfungen dabei einen ganz ungünstigen Faktor bilden. Ist dann die unmittelbare Nähe zur bekannten halleschen Marktplatzverwerfung wirklich ein geeigneter Standort für ein Feng-Shui-Referenzobjekt? Die Werbebroschüre zerstreut solche Bedenken nicht, klärt auch nicht über die im Feng Shui eigentlich bedeutsame Ausrichtung der umgebenden – zum Teil sogar unterirdischen – Wasserläufe auf, statt dessen weist sie auf die förderliche Lage der »Spitze« im Süden (sic!) von Halle hin. Eine etwas präzisere topographische Recherche wäre zu erhoffen gewesen.
Die Häuser sind den fünf Feng-Shui-Elementen Wasser, Holz, Feuer, Erde, Metall zugeordnet. Laut Handbuch leitet sich solche Charakterisierung entweder von der Form des Gebäudes ab (niedrig für Erde, unregelmäßig für Wasser etc.) oder recht plausibel von den verwendeten Materialien. In beiden Punkten sind sich aber alle Häuser zum Verwechseln gleich. So bleibt die Farbe als drittes, eher schwächeres Kriterium. Und in der Tat, auf den zweiten Blick ist zu bemerken, daß die hofseitigen Treppenhäuser verschiedenfarbig gestrichen und hier wie auf den Frontseiten kleine differierende Symbolflächen angebracht sind. Ob das reicht, um beispielsweise im rückwärtig gelegenen Metallhaus mit Erfolg eine unter anderem empfohlene Eisenwarenhandlung zu betreiben? Und ob das Windelgeschäft im Holzgebäude an der Ecke vom »Spitzenbereich« für »unbedingt auf Aktivitäten ausgerichtete Berufsbereiche« profitiert?
Vielleicht sind die Differenzierungen auch gar nicht so entscheidend, die zahlreichen den Elementen beigegebenen Attribute wechseln von Kapitel zu Kapitel der Werbebroschüre, ein gewisser Eindruck von Beliebigkeit tut sich auf. Letztlich ist alles irgendwie positiv, außer für Menschen mit Problemen, denen ist hier auch nicht zu helfen. Bei einer geführten Wohnungsbesichtigung war nichts Näheres zu erfahren, die Wohnungen machen insgesamt keinen schlechten Eindruck und mögen in der Raumanordnung auch Feng-Shui-Anforderungen genügen. Vermietet sind allerdings vorrangig die Wohnungen der von der Hauptstraße abgewandten Seite, während bei den Gewerberäumen offensichtlich die Straßenseite den Vorzug erhält. Man ist geneigt, hierin gesunden Alltagsverstand zu vermuten, der mehr zu wiegen scheint als die alte fernöstliche Lehre - oder das, was Architekt Dick Evers als diese verkaufen will.

Einige andere aktuelle Architekturprojekte in der Stadt Halle hatten die Ehre, letztes Jahr in der Berliner Architekturgalerie Aedes vorgestellt zu werden. Auch dazu ist ein Begleitheft erschienen. Hier wie auch bei anderen Gelegenheiten wird das erst im Entstehen begriffene Audimax der Universität mit üppigen Vorschußlorbeeren bedacht. Läßt sich die immerhin schon erkennbare Großflächigkeit der Süd- und Westseite zur Schulstraße hin wirklich als »Bezug auf die Nachbarbebauung« interpretieren, die sich einer »analytischen Lektüre des Stadtraumes« verdanke? Vom Universitätsplatz »fließt« angeblich »der Platzraum ins Gebäude hinein«, nämlich »über sein sogenanntes Passepartout, ein riesiges Stück offengelassener Wand«. Jetzt werden die grünen Scheiben montiert und scheinen den Platz eher spiegelnd zurückzuwerfen, tagsüber jedenfalls.
Das Heft ergeht sich seitenweise in bedeutungsschweren Charakterisierungen, wie z. B. zum Händelhaus-Karree: »Städtebaulich beschreibt das Konzept eine Quadratur des Kreises, insofern der Umgang mit dem Stadtblock gleichermaßen von Geschichte und Modernität geprägt ist. Auf der einen Seite soll die historische Kontur des Blocks lesbar bleiben und die Dialektik aus dem vollen Körper des Blocks und dem leeren Raum seiner ihn umfließenden Straßenzüge spürbar werden. Andererseits soll der Ort aber auch nicht in seiner Historizität versinken. Seine aktuelle Gegenwart wird als heutiger Teil seiner Vergangenheit verstanden und deswegen auch mit einem zeitgenössischen Verständnis artikuliert… Auch städtebaulich existieren hier mehrere Zeiten nebeneinander.« Die Aussage des Textes erscheint leerer als die beschriebenen Straßenzüge. Vermag man dem Händelhaus-Karree mit seinen ebenso interessanten Einfällen wie gravierenden Schwächen damit gerecht zu werden?

Manchmal sind es nur einzelne Schlagworte, die den Blick auf die Objekte lenken sollen. In der Richard-Wagner-Straße läßt ein Neubau laut Werbeblatt »modern und stilvoll« die »Gründerzeit« wieder aufleben, nur viel besser, nämlich mit Aufzug, Fußbodenheizung und Lichthof in jeder Wohnung. Kassettentüren werden ebenfalls versprochen, doch der für die Gründerzeit unvermeidliche Deckenstuck ist nirgends zu erkennen. Die Fassade wird durch Stuckelemente gegliedert, allerdings in der stark reduzierten Form, wie wir es heute von vielen ihrer ursprünglichen Üppigkeit beraubten Gründerzeithäusern gewohnt sind. Nicht unansehnlich, aber nicht Gründerzeit. Schon gar nicht die gradlinigen Stahlrahmenbalkone. Die sind eher modern, aber wiederum nicht stilvoll. Auf das ganze Haus sind schließlich beide Begriffe nicht anwendbar, das ist einfach eklektizistisch und insofern der Gründerzeit immerhin verwandt.

So fügt es sich auch nahtlos in die Zeile ein, ganz anders als das FRANKONIA-Projekt in der benachbarten Ernestusstraße. Hier stoßen Glasfassaden hart an verspieltes Fachwerk aus dem 19. Jahrhundert. Das kann sogar interessant wirken, aber was ist gemeint, wenn dies auf der Werbetafel mit dem Slogan »Tradition verpflichtet« tituliert wird?

Als »Stadtvillen« werden die vier neuen Häuser auf Lehmanns Felsen beworben. Was dort angeboten wird, sind aber Etagen-Eigentumswohnungen. Eine richtige Stadtvilla befindet sich in unmittelbarer Nähe, die Lehmannsche Villa. Seit dem Auszug der Universität steht sie leer, weil sich solchen Wohnluxus heute in Halle kaum jemand mehr leisten kann. Aber wer eine der besten Wohnlagen Halles so einfallslos zubaut, muß wenigstens verbal etwas hermachen.

So verschieden die genannten Fälle auch sind, bei keinem dieser Beispiele wird die gegebene Beschreibung oder Titulierung den Bauten auch nur annähernd gerecht. Hohle Phrasen stehen anstelle sachlicher Aussagen. Das wirklich Ärgerliche daran ist die Tendenz zur völligen Beliebigkeit, die Qualität schließlich überflüssig macht, weil danach kaum noch jemand fragt.