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Archäologische Untersuchungen sind notwendig !

P. Breitkopf
 



Wagegebäude nach der Teil-Zerstörung 1945
(Aufn.: Stadtarchiv)
Nachdem der Stadtrat am 13. 12. 2000 der Investorengruppe Frankonia/Kaufhof den Zuschlag für die Bebauung an der Marktplatz-Nordost-Ecke erteilt hat, wollen die Investoren möglichst bis zum »Weihnachtsgeschäft 2002« das neue Kaufhaus eröffnen. Bedenken sollten sie freilich, daß auf dem zukünftigen Baugelände, welches sich vom Marktplatz über mehrere Grundstükke bis zur Ecke Kleine Steinstraße/Brüderstraße hinzieht, noch umfangreiche archäologische Untersuchungen notwendig sind. Auch die Kriegsruine in der Rathausstraße 2 (Zeitkunstgalerie, Amt für Wirtschaftsförderung) muß vor dem Abriß genau dokumentiert werden. Es stellt sich die Frage: Welche Entdeckungen sind auf dem zukünftigen Bauplatz zu erwarten ?  






Gebäudebestand auf der Fläche des geplanten Kaufhausneubaus
Das im März 1945 größtenteils zerstörte Wage-Gebäude hat der Rat der Stadt 1573 bis 1575 (bzw. bis 1581) erbauen lassen – unter Einbeziehung eines 1341 oder 1401 errichteten rechteckigen Turmes. Dieser zur Aufbewahrung von Dokumenten bzw. Festsetzung von Gefangenen genutzte Turm war in der Ruine noch nach 1945 sichtbar. In einem Zeitschriftenbeitrag (Literaturangaben siehe unten) berichtet H.-J. Mrusek von einer Mitteilung des Burgenforschers H. Wäscher, daß »… ein kräftiger, noch 11/2 Stockwerke hoher Turmrest von etwa 10 m Seitenlänge und 2,8 m Mauerstärke ... beim Abbruch des Wagegebäudes mit abgetragen« wurde. Der Turm läßt sich auch in Bauplänen der städtischen Bauakte finden. Er reichte demnach nicht bis ins 2. Geschoß des Hauses. Ein Keller ist weder hier noch unter den übrigen Teilen des Vordergebäudes oder des südlichen Seitenflügels (ebenfalls ein Renaissance-Bau) erkennbar. Es muß der Schluß gezogen werden, daß beim Abriß nach dem 2. Weltkrieg der Turm (der schon im 16. Jahrhundert nur Fragment war) zusammen mit den übrigen Gebäudeteilen komplett verschwand. Vermutlich blieben aber Fundamentteile im Boden erhalten.

Trotzdem lohnt es sich zu graben, denn beim Abriß wurde nicht nur das (nicht vollständige) Portal – heute an der Westruine der Moritzburg – und eine Marienstatue (vermutlich auch in der Moritzburg) geborgen sondern auch, wie E. Neuß berichtet, der Torso eines sitzenden Löwen »ohne Haupt und Mähne«, ursprünglich ca. einen Meter groß und romanischen Ursprungs (!).




Ebenso alte Funde sind weiter östlich nicht zu erwarten. Ein weiter Hofbereich hinter den Grundstücken des Stadtarchivs und der Zeitkunstgalerie gehört zum Grundstück Rathausstraße 3 und wird unterirdisch von Kelleranlagen der ehemaligen Brauerei Bauer eingenommen. Zumindest ein Teil dieser Anlagen könnte älter als 150 Jahre sein, da hier noch fensterlose Natursteinmauern bis ca. 1,50 m über die Kellerdecke hinausragen. Dokumentation und Zuordnung zu einer ehemaligen Nutzung sind hier notwendig.

Bei der Kriegsruine Rathausstraße 2 sollte über eine Einbeziehung der Kellerräume des Vorderhauses in die Neubebauung nachgedacht werden. Da sich im Flurbereich – wenn auch an anderer Stelle – noch ein barocker Türsturz befindet, könnten die Gewölbe ebenfalls noch vom Neubau des Jahres 1706 stammen.

Einzugehen ist noch auf die Bebauung am östlichen Ende des Quartiers. Die Kleine Steinstraße führt erst seit dem 16. Jahrhundert über den Kirchhof der aufgegebenen Pauli-Kapelle. Ältere bauliche Reste wird man im Umfeld der abgerissenen Kapelle (heute Brüderstraße 9a und 10) wahrscheinlich kaum finden. Allerdings sind unter den Garagen noch Reste des Barockhauses Kleine Steinstraße 1 zu erwarten.

Die Entdeckung von Siedlungsspuren aus der Zeit vor der Stadtgründung auf dem zukünftigen Baugelände ist nicht auszuschließen, läßt sich aber anhand der schriftlichen Quellen und Publikationen nicht vorhersagen. Hoffen wir also auf eine gründliche Spurensuche und Dokumentation.

  Quellen, Literatur:

Bauakten Marktplatz 24 und Rathausstraße 2 sowie Hauptbuch der gewöhnlichen Unpflichten im Stadtarchiv

Hertzberg, Gustav: Geschichte der Stadt Halle , 1889 – 1893, I, S. 173f

Schultze-Galléra, Siegmar von: Topographie ..., Erster Band, Altstadt, Halle, 1920, S. 98, 262ff

Neuß, Erich: Kunstwerke des gotischen Gewölbes in der Moritzburg zu Halle, Halle 1955, S. 5, 22

Mrusek, Hans-Joachim: Strukturwandel der halleschen Altstadt, in: Wiss. Z. Univ. Halle, Ges-W., Mai 1961, S. 1084